Lampedusa im Winter

LAMPEDUSA

Kritik von Ursula Demling

Schwarzer Bildschirm, ein Notruf auf Arabisch irgendwo auf See. Bei einem Film, der die Insel Lampedusa im Titel trägt, ist klar, dass es sich hier um den Ruf aus einem der maroden Boote handelt, mit denen etliche Menschen Tag für Tag vor Diskriminierung, Krieg und Tod nach Europa fliehen. Eine Stimme auf See bittet um Hilfe: Frauen und Kinder seien an Bord und sie seien davor zu kentern. Die Frauenstimme am anderen Ende der Leitung fragt nach der genauen Lage des Bootes, erklärt, wie man diese per Satellitentelefon bestimmen könne. Aber vor allem fordert sie zu einem auf: Ruhe bewahren bis die Küstenwache kommt.

Wer diese Frau ist, die den Notruf entgegengenommen hat, erfahren die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht. Dass es sich hierbei um eine beeindruckende freiwillige Helferin der Insel Lampedusa handelt, die Tag und Nacht Notrufe entgegennimmt und mit der Küstenwache in Kontakt steht, kommt erst im Nachgespräch mit Regisseur Jakob Brossmann ans Licht. Im ersten Drittel gibt der Film noch ab und an in weißen Lettern auf schwarzem Grund Informationen in Form von Zahlen, wie dass nach Schätzungen seit dem Jahr 2000 23 000 Menschen im Mittelmeer auf der Flucht ertrunken sind. Ansonsten gibt Brossmann den Zuschauerinnen und Zuschauern keine weiteren Angaben. Es werden weder Namen eingeblendet, noch erklärt eine Stimme aus dem Off das, was auf der Leinwand zu sehen ist. Der Film erweckt so den den Eindruck, als sei hier alles echt und passiert genau so Tag für Tag auf Lampedusa: Keine Interviews werden mit den Einwohnern und Flüchtlingen geführt, wie das im Sommer Tag für Tag durch Medien aus allerlei Ländern passiert. Wir sehen ein Lampedusa fernab der Kameras. Fernab der Kameras scheint hier auch zu bedeuten, fernab der Schwarzweiß-Malerei. Das Publikum bekommt die schönen wie hässlichen Seiten des Zusammenlebens von Einwohnern und Flüchtlingen zu sehen:  Gerade der Moment, in dem zum ersten Mal die Gruppe von Flüchtlingen, die bereits seit Monaten auf Lampedusa festsitzt, zu sehen ist, bleibt besonders im Gedächtnis. Eingehüllt in Decken sitzen die dunkelhäutigen jungen Männer vor der Kirche; sie protestieren, wollen endlich weg von Lampedusa. Nun sehen wir auch zum ersten Mal die engagierte Helferin Paola, die uns im Film noch öfter begegnen soll. Ein genervter Flüchtling beschwert sich, während Paola nur zum Durchhalten animieren kann. Die Kamera filmt das Gespräch mit, während Paola, die ja selbst nichts für die Situation kann, aber trotzdem tut, was sie kann, von Vorne zu sehen ist. Der Flüchtling, von hinten gefilmt, bleibt gesichtslos. Diese Szene – Frustration gegen Engagement – macht deutlich, dass Lampedusa im Winter kein Plädoyer für einen menschlicheren Umgang mit  Flüchtlingen werden soll. Lampedusa im Winter will zeigen, dass die Insel nicht erst durch Flüchtende existiert, sondern auch darüber hinaus ein Alltag herrscht. Erreicht wird das, indem verschiedene Aufnahmen von Lampedusa miteinander verschnitten werden: Eine Fußballmannschaft wird hier und da begleitet, deren Trainer zu Teamwork erzieht, die Fischer der Insel protestieren, da sie auf ein Boot warten, das ihren Fisch abtransportiert, so wie die Flüchtlinge auf ein Boot warten, das sie endlich weiterbringt, es wird getrauert um die Namenlosen, die auf See ertrunken sind. Doch kann die Dokumentation nicht verleugnen, dass auf Lampedusa besonders interessant ist, was sich um die Flüchtlinge dreht. Dokumentation – das muss den Zusehenden bewusst sein – ist kein Abbild der Realität. Durch die Monatge entstehen Zusammenhänge, die so nicht existieren. Bemüht sich die Kamera zwar unsichtbar zu bleiben, klingen viele Aussagen der Bürgermeisterin Lampedusas doch zu positiv, ist von Fremdenfeindlichkeit unter den Inselbewohnern nichts zu spüren. Trotzdem erreicht der Film, indem er das Team rund um die Kamera komplett in den Hintergrund rückt, genau sein Ziel: Eben nicht zu entscheiden: Sind Flüchtlinge nun gut oder schlecht und wie sollen sich die Zusehenden dazu verhalten, sondern Impressionen zu geben, Menschen sprechen zu lassen, ihnen zuzuhören, ohne Lampedusa auf die Flüchtlingsinsel aus dem Fernsehen zu reduzieren.

Es werden keine Namen, Titel, Verdienste und Spendenhotlines für die Zuschauerinnen und Zuschauer eingeblendet, sondern ein funktionierendes Leben gezeigt. Das Publikum wird gezwungen fernab von Hollywood-Romantik schlicht zu Zeugen zu werden: Keine betitelten Helfer, die sofort gegoogelt und unterstützt werden können, keine erschütternden Einzelschicksale von der grausamen Flucht, die zum Mitgefühl animieren. Auf Lampedusa werden im Jahr 2015 Leben unterschiedlicher Menschen, die sich doch alle ähneln gelebt, aber weder hilfsbedürftige Opfer, noch bewundernswerte Helden produziert.


Kritik von Bernhard Frena

Warnung: Traue diesem Film nicht!

‚Authentisch‘ ist für mich ja ein Reizwort. Grundsätzlich misstraue ich zunächst mal allem was sich mit diesem Adjektiv schmückt. Wenn ein*e Regisseur*in also die Authentizität ihres*seines Filmes betont, dann schrillen bei mir gleich alle Alarmglocken. So geschehen auch beim Publikumsgespräch mit dem Regisseur Jakob Brossmann nach der Projektion seines Filmes Lampedusa im Winter. Wenn der Regisseur, wie in diesem Fall, dazu noch quasi im gleichen Atemzug erzählt, wie der eine ‚Winter in Lampedusa‘ eigentlich zwei Winter waren, oder wie einige Sequenzen eigentlich Jahre später aufgenommen und in andere zeitliche Kontexte montiert wurden, so zeugt das doch von einer massiven Ironieresistenz.

Der Film nähert sich der Insel Lampedusa, welche eine recht aufgeladene Position im Spannungsfeld Flucht-Europa-Grenze-Menschenrechte einnimmt, von einer dezidiert reduzierten Seite. Der Winter, das ist auf Lampedusa die Off-Saison, sowohl im Hinblick auf Tourismus, wie auf Migration. So sind es nicht Bilder von überfüllten Lagern, von quasi-maschineller Abfertigung von Menschen, die uns dieser Film zeigt. Vielmehr sind es die Momente danach, oder dazwischen, die Momente, in denen die mediale Aufmerksamkeit einmal nicht auf Lampedusa lastet, die Momente, in denen eben nicht ständig eine Kamera …

Genau hier schleicht sich der zentrale Fehler von Lampedusa im Winter, der zentrale Trugschluss von Brossmann ein. Denn was der Film nie tut ist seine eigene Konstruktion offen zu legen. Wir erfahren nicht, wie Brossmann zu diesen Aufnahmen gekommen ist, wir hören nicht, welche Fragen er stellt, wir sehen nicht wie er mit den Leuten umgeht oder wie da doch gerade eine Kamera direkt vor den abgefilmten Gesichtern kleben muss. Und das alles noch bevor Brossmann überhaupt anfängt von ‚Authentizität‘ zu sprechen.

Nichtsdestotrotz versteht sich diese Filmkritik durchaus als Filmempfehlung. Die Arbeitsweise des Regisseurs führt durchwegs auch zu Einblicken, zu Blicken hinter und durch Kulissen, die man sonst nur schwer zu sehen bekäme. Doch präzise diese Arbeitsweise ist es, welche vom Film selbst unausgesprochen bleibt. Und so ist meine Kritik nun jener Warnhinweis, welcher eigentlich groß zu Beginn dieses Filmes stehen müsste, welcher im Grunde permanent im Film thematisiert, immer wieder in Bild und Ton zu Tage treten müsste: „Was ihr hier seht ist ein Film! Was ihr hier seht ist konstruiert! Traut mir nicht!“


Kritik von Anonym

Eine Insel voll mit Leben

Eine Dokumentation über die Insel Lampedusa. Welche zwar bekannt durch die Flüchtlingsproblematik ist, aber nicht in ihrer Ganzheit. Mit gerade mal 110 Kilometern Entfernung zu der tunesischen Küste, bietet die Insel die erste Anlaufstelle für Flüchtlinge. Im Sommer eine aufblühende und für Touristen attraktive Insel, sind im Winter vermehrt die Schattenseite zu erkennen. Jakob Brossmann nimmt sich dieser Materie an und will das eingeschränkte Bild, welches man durch Medien eingebläut bekommen, aufreißen und Lampedusa in seinem tatsächlichen Sein zeigen.

Der Anfang der Dokumentation zeigt zugleich die Dramatik, die sich hier regelmäßig abspielt. Ein Notruf von hoher See: Erneut ist ein, mit Menschen, überladenes Boot vor Lampedusa, welches um Rettung fleht. Natürlich ist es eines der Hauptthemen Vorort, sowie auch der Dokumentation, doch der Regisseur scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben alle Teilaspekte, mit denen die Inselbewohner zu leben haben, aufzuzeigen. Neben dem Protest einer Gruppe von Flüchtlingen und deren UnterstützerInnen von der Insel, bekommen wir Einblick in die Bedeutung der Fähre für die Insel, die Fischergemeinschaft und deren Streik, die Tätigkeiten der Bürgermeisterin, den Fußballverein der Insel, die Arbeit eines Künstlers welcher sich mit den Überresten der angeschwemmten Boote beschäftigt und einer Radioshow, welche den einzig inszenierten Punkt der Dokumentation darstellt.

Der Regisseur betont im Gespräch nach der Sichtung im Urania am 27.10.2015, dass er und die Kameramännern jeglichen Eingriff in das Gesehen umgehen wollten. Auch deshalb scheint die Anwesenheit der Kamera in gewissen Szenen komplett in Vergessenheit zu geraten. Es scheint als nehme man ein ungetrübtes, ehrliches Bild der Insel wahr. Natürlich ist durch die Auswahl der Szenen und der Montage immer eine gewisse Haltung oder Wertung zu lesen, jedoch scheint es, dass diese Dokumentation eine solche fast komplett umgehen konnte. Vor allem durch die unterschiedlichen Teilbereiche. Hier springt ein Sektor besonders ins Auge, welcher neben den anderen teilweise dramatischen Abschnitten nochmal ein ganz anderes Bild zeigt. Damit sind die Aufnahmen des Fußballvereins gemeint. Auf den ersten Blick scheinen diese Sequenzen nicht in das Gesamtkonzept hinein zu passen. Erst bei weiteren Überlegungen sieht man die Stimmigkeit. Das Filmteam zeigt das „echte“ Lampedusa und will sich nicht nur an den „aufregenden“ Themen bereichern. Für ein Gesamtbild gehören auch die Alltäglichen, die vielleicht uninteressanteren Aspekte. Wieder ein verstärkendes Mittel, welches die nahezu wertfreie Haltung der Dokumentation unterstreicht.

Vielleicht ist einer der wenigen oder gar einzigen Kritikpunkte an Lampedusa im Winter  auch eines seiner ästhetisch Wertvollsten. Das Verschwinden der Kamera und somit auch des Kamerateams Vorort, hat mich teilweise vergessen lassen, dass es sich um eine Dokumentation handelt, doch sobald man in dieses Denken gerutscht ist, hat es der Film auf seine ganz eigene Weise geschafft einen zurückzuholen. So waren beispielsweise die original Tonaufnahmen der Hilferufe von Flüchtlingen ein weckender Moment, welcher mich auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat.

Zwei Jahre auf Lampedusa haben sich ausgezahlt und zeigen die Aufopferung, welche man leisten muss, um einen tiefer gehenden Einblick zu ermöglichen. Der Film macht auf die Insel in einem neuen Kontext aufmerksam und schafft  es eventuell zu Lösungen der vorherrschenden Problematiken zu gelangen.


Kritik von Marlene Grois

„Nobody is an island“

Lampedusa. Ein Ort, den wir alle kennen und von dem wir doch so gut wie gar nichts wissen. Die eher trostlosen Vorstellungen über diese Insel, die in unseren Köpfen entstanden, sind zum Großteil verbunden mit Flucht vor unmenschlichen Zuständen wie Krieg und dem Tod unzähliger Menschen. Schon beim Einstieg in die Dokumentation hält Jakob Brossmanns den Finger genau auf diese Wunde. Wir sehen nichts, schwarz. Eine Frauenstimme ist zu hören, die auf Arabisch Anweisungen gibt. Sie spricht mit einer anderen Person übers Handy und versucht ihr, so sachlich und verständlich wie möglich zu erklären, was getan werden muss, damit sie die Koordinaten herausfindet.

Dass diese Kommunikation gelingt, ist lebensnotwendig für wahrscheinlich hunderte Menschen. Am Wichtigsten sei es, die Leute ruhig zu halten, Panik muss unbedingt vermieden werden. Zum Schluss sagt die Frau, dass nun aufgelegt werden muss, um weitere Schritte zu unternehmen und man möchte sich nicht einmal vorstellen, wie sich die Person am anderen Ende der Leitung fühlt, wenn sie nun den einzigen Kontakt zum vermeintlich sicheren Festland wieder verliert.

Daraufhin sieht man Aufnahmen in einem Boot der Küstenwache, die versucht ein solches Boot mit geflüchteten Menschen ausfindig zu machen. Diese Bilder entsprechen ziemlich genau unseren Annahmen. Das Leben auf Lampedusa scheint – mehr als anderswo in Europa – geprägt von der Flüchtlingsthematik. Man sieht wie eine Frau und ein Mann, an die Küste gespülte Bootwracks durchsuchen. Dort finden sie Gewand, Fotos, Karten und sogar eine Babyflasche. Später wird klar, dass diese Dinge aufbewahrt werden sollen, um den Besitzern wenigstens diese Würde zu erweisen und ihr letztes Hab und Gut nicht einfach wegzuwerfen.

Einige Bewohner Lampedusas sehen es als ihre Verantwortung und als das Mindeste an, den Menschen, die nicht überlebt haben, eine angemessene letzte Ruhe zu ermöglichen. Paola versucht sich für die Flüchtlinge einzusetzen, indem sie einerseits versucht sie bei einem Protest zu unterstützen und Tee bringt. Andererseits möchte sie zwischen ihnen und den Verantwortlichen vermitteln, telefoniert herum, beschwichtigt. Zwischendrin sieht man Landschaftsaufnahmen die fast an den letzten Italienurlaub erinnern. Man erhält nach und nach einen anderen Eindruck von diesem Ort. Auch weil man nicht nur mit seinen, schon längst bekannten Problemen, sondern darüber hinaus mit den beschwerlichen Umständen konfrontiert wird, mit denen sich die Bewohner Lampedusas außerdem herumschlagen müssen.

Die Fischer können ihrer Arbeit nicht nachgehen, da die Fähre, welche die Fische nach Sizilien liefern soll, in Flammen aufgegangen ist und keine akkurate neue zur Verfügung gestellt wird. Deshalb wird gestreikt, die provisorische Fähre lässt man nicht einmal andocken. Die Bilder die wir infolgedessen zu sehen bekommen, sind solche leerer Marktstände und überquellender Müllhaufen. Lampedusa wirkt vergessen und komplett im Stich gelassen von der Außenwelt, sowohl mit den eigenen als auch mit den globalen Problemen. Letztendlich müssen die Dinge selbst in Angriff genommen werden, nach dem Motto: „Helft euch selbst, sonst helfen wir euch nicht.“

Die kräftige Stimme der Bürgermeisterin ist manchmal motivierend, manchmal niederschmetternd. Marlene Grois a1201569 Die Lösungen die gefunden werden sind Kompromisse, die mehr schlecht als recht daherzukommen scheinen. Zwischendrin Alltag. Buben beim Fußballtraining, eine Radioshow, Fasching wird gefeiert.

Jakob Brossmann ist es gelungen ein durchaus vielseitiges Bild von Lampedusa und seinen Bewohnern zu zeichnen. Dennoch lässt er uns nie vergessen, warum gerade dieser Ort in den letzten Jahren immer mehr traurige Bekanntheit erlangt hat. Doch nun haben wir eine konkrete Vorstellung darüber, wie es dort aussieht, wer die Menschen sind die dort wohnen und die dort ankommen, welchen Problemen sie wirklich gegenüberstehen. Vielleicht ist es sogar möglich, dass mithilfe einer solchen Konkretisierung auch Lösungen greifbarer werden.


Kritik von Anonym

Jakob Brossmann möchte ein Zeichen setzten und offene Fragen beantworten. Was passiert außerhalb dessen, was uns in den Medien gezeigt wird? Was geschieht rund um das tragische Thema der Flüchtlinge in Lampedusa? Womit hat ein Land zu kämpfen, dass derartigen Anstürmen ausgesetzt ist? Fernab von den Bildern der Medien welche den Menschen schon allzu bekannt sind versucht Lampedusa in Winter den Fokus neu einzustellen und den Menschen eine neue Perspektive zu verschaffen. „

Es gibt auch ein Leben dort“ möchte Jakob Brossmann hier dem Zuseher vor Augen führen. Ein Leben geplagt von unzähligen Problemen und Schuldzuweisungen in alle möglichen Himmelsrichtungen.

Dabei ist die spezifische Thematik der Flüchtlinge zwar ein Faden der sich durchaus durch den Film zieht jedoch nicht der Hauptfokus des Werks.
Wir sehen Aufopferung, Streik, Verständnis und Unklarheiten, die sich aufgrund einer Vielzahl von Faktoren zu scheinbar unüberbrückbaren (Fels)Wänden formatieren. Einige Einstellungen ähneln dabei dem Film Shipwreak von Morgan Knibbe.

Die Aufnahmen zerstörter Wracks an der Küste erzählen ihre eigene Geschichte der Tragödien. Im Vergleich sehen wir hier jedoch keine Überlebenden die uns Ihre Geschichte näher bringen, wir sehen Menschen aus Lampedusa deren Arbeit das Entsorgen übergebliebener Reste in den Wracks ist. Die Rolle des Geschichtenerzählers wird hier den Fundstücken zugeschrieben, welche kleine Informationen in sich tragen. So findet sich ein Bild, ein Notizblock mit Zeichnungen, ein Visum darunter und lässt nur andeuten was sich hier abgespielt hat.

Diese Tragik wird jedoch durch makabre Bedeutungen gebrochen. Auf einem Visum, welches im Rupf eines offenbar schiffbrüchigen Wracks welches zahlreiche Todesopfer fordertet gefunden wird, enthält die höchst makabrere Aufschrift „Thank You for Your visit“. Auch die radikale Gegenüberstellung dieser Probleme, dieser Tragik mit der „inszenierten“ Radio Show namens „Fashion Music“ oder die spätere Clubszene zeigt die Zwiespältigkeit dieses Landes. Der Kampf um das Überleben, das Unverständnis über die eigene Lage sowie der Traum nach einem „normalen“ Leben wird hier auf mehreren Ebenen dargestellt.

Zwischen Wut, Trauer und Fassungslosigkeit über das was geschehen ist findet sich der Zuschauer kaum mehr zurecht. Jedoch nimmt Brossmann den Betrachtern die Möglichkeit Partei zu ergreifen. Durch Probleme die auf beiden Seiten ruhen hebt sich ein „Gut und Böse“ „Opfer und Täter“ gleichsam auf und lässt nur noch das reine Betrachten zu. Man möchte eingreifen doch kann es nicht, gleich wie auch die Parteien selbst nur „warten“ können was zunächst geschieht.

Dabei erscheint das Filmmaterial derart „ungewollt“ und natürlich, dass der Zuseher die Kamera quasi vergisst. Etwas das Jakob Brossmann durchaus im Sinn hatte. So ließ er Handlungen einfach geschehen ohne sie zu unterbrechen oder gar einzugreifen. Lediglich die Radioshow wurde inszeniert, was sich durchaus im gefilmten Material erkennen lässt. Bei den restlichen Bildern stellt sich dem Zuseher fast die Frage ob die Menschen wussten dass sie gefilmt werden. Teils fühlt man sich voyeuristisch und hat das Gefühl hier etwas zu sehen, das nicht für einen selbst bestimmt ist.

Durch den häufigen Einsatz von Nahaufnahmen der verschiedenen Protagonisten werden zudem auch ihre Persönlichkeiten sowie ihre eigenen Empfindungen verdeutlicht – man kann ihnen teilweise ihre Gefühle von den Augen ablesen wodurch ein Hineinversetzten ebenso ermöglicht wird wie der Versuch die Tragödie auf einer tieferen Ebene zu verstehen.

Durch die parallelen und immer wiederkehrenden Handlungsstränge (einerseits der Streik der Fischer, andererseits die Verhandlungen der Bürgermeisterin Giusi Nicolini sowie die aufopfernde Rolle von Paula) wird der Zuseher zunehmend vertraut mit den Menschen, was eine objektive Betrachtung erschwert sondern die Voreingenommenheit durch die Medien erst wirklich sichtbar macht. Gekonnt führt Jakob Brossmann mit Lampedusa in Winter die Spuren und Nöte vor Augen, welche zwanzig Jahre Immigration hinterlassen haben.


Kritik von Mascha Mölkner

Eine Ode an Lampedusa

Die kleine Insel (mit nur 20 km2 Fläche) vor Italien hat in den letzten Jahren unrühmliche Berühmtheit erlangt. Sofern von den Flüchtlingsströmen nach Europa berichtet wurde und wird, war und ist der Name Lampedusa nicht weit, meist hört man von tragischen Bootsunglücken oder überfüllten Auffanglagern.

Mit ähnlichen Erwartungen ging ich in die Dokumentation über diese Insel, die 110 km vor der Künste Tunesiens liegt und 200 km vor Sizilien. Statt aber pure Anprangerung und Anschuldigung verfuhr der Film viel stiller. Durch fünf Hauptthemen, ein paar typische italienische, wurden wir geleitet: Es ging, natürlich, um Fußball, Fischerei, Menschen mit Fluchthintergrund und deren Küstenrettung. Lampedusa im Winter ist ein ruhiges, zurückhaltendes Porträt einer Insel, die vor schwierige Aufgaben gestellt wurde und wird. Dabei bekommt man einen Einblick, wie die Inselbewohner und ihre Bürgermeisterin diese Krisen bewältigen.

So das Problem der Fähre, die täglich von Sizilien nach Lampedusa und zurück gefahren ist, um Fisch auszuliefern, den Müll zu entsorgen und die Supermärkte der kleinen Insel zu beliefern, die so alt war, dass ihr Motor in Flammen aufgegangen ist; die ‚neue’ Fähre jedoch noch älter war und bei Sturm nicht fahren konnte. Der daraus resultierende Streik wurde von den Behörden in Sizilien wahrgenommen. Ein anderes Schiff wurde aber nicht eingesetzt. Es ist auch ein Porträt einer Insel, die oft streikt und nach Hilfe ruft, gehört wird und trotzdem alleine bleibt. In 93 min begleiten wir Menschen mit Fluchthintergrund wie Dorfbewohner, blicken in ihre Leben, Taten und Wünsche.

Mit dem perfekten Abstand und quasi ohne Wertung schafft diese Dokumentation es, alle Aspekte einzufangen und gesammelt wiederzugeben. In einer Drehzeit von zwei Jahren kam viel Bildmaterial zusammen, dementsprechend häufig wurde geschnitten und komprimiert, weshalb sich in der Beschreibung der Viennale wohl das Wort „hohe Verdichtung“ wiederfindet. Ein klassisch künstlerisch angehauchter Begriff, der nicht nur impliziert, dass viel erzählt wird, sondern auch eine bildliche wie ästhetische Dichte mit einschließt.

Allerdings bleibt bei Dokumentationen immer die Frage, wie dicht und wertfrei sie tatsächlich sein können. Es ist immer nur ein bestimmter und begrenzter Ausschnitt eines Geschehens, deren reale bildliche Grenzen in dem Objektiv der Kamera liegen und deren inhaltliche Grenzen von der Länge des Gefilmten und der des Endprodukts determiniert werden. Letztlich kann die Dokumentation also nur vorgeben, sie sei wertfrei, da alleine durch die verschiedenen formalen Diktate eine Wertung entstehen muss.

Einem Ausschnitt wird mehr Wertung zugesprochen als dem anderen, sodass der eine im Film zu sehen ist und der andere eben nicht. Auch auf die Länge der gewählten Szene trifft dies zu: Ein Inhalt scheint mehr wert als ein anderer. Durch die nicht hetzerischen Aufnahmen schafft es Lampedusa im Winter, den hohen Anspruch an Objektivität, die den Medien oft fehlt, offenzulegen.

Es gab die Kritik im anschließenden Gespräch des Regisseurs Jakob Brossmann und seinem einen Kameramann Serafin Spitzer, die da lautete, dass nicht via Untertiteln o.Ä. erklärt wird, wer die Personen sind, die zu sehen sind. Für mein Verständnis hätte das die Dokumentation und ihre Botschaft verändert. So wurde niemand hervorgehoben oder herausgestellt, Thema war der Alltag der Bevölkerung Lampedusas und ihrer MigrantInnen auf Zeit in ihrer Gesamtheit.

Alles in allem ist Lampedusa im Winter eine Dokumentation, deren Wert in ihrer Ruhe und Entschleunigung liegt. Sie gibt ein Abbild in den alltäglichen Kampf um die Würde einer kleinen, sympathischen Insel, die alleingelassen von Italien und der EU versucht, ihre Probleme zu bewältigen.


Kritik von Anonym

„Hallo! Wir sind auf See, unser Boot ist beschädigt. Hier sind Frauen und Kinder an Bord.“

Mit diesem Satz wird der Zuseher, die Zuseherin sofort in den 93-minütigen Dokumentarfilm „Lampedusa im Winter“ hineingezogen und mit der ernsten Thematik konfrontiert. In den letzten Jahren haben wir viel von den Menschen mitbekommen, die aus ihrem eigenen Land flüchten mussten, um in Sicherheit zu Leben, um somit ihrer Angst den Rücken zukehren zu können. Doch dieser Schritt war beziehungsweise ist auch nicht das Ende ihres Leidensweges. Das wird uns mit Brossmanns Werk nochmal deutlich veranschaulicht. Lampedusa ist eine italienische Insel, die der afrikanischen Küste nahegelegen ist und somit für viele Flüchtlinge ein Ziel ihrer Sicherheit und ihrer gefährlichen Reise, meistens mit einem unsicheren, überbesetzten Boot, darstellt. Was viele Menschen nicht wissen, ob Afrikaner oder Europäer, ist, dass Lampedusa zu den ärmeren Inseln Italiens gehört und somit das Flüchtlingsthema die Einwohner, Einwohnerinnen in ihrem Leben und Beruf belastet. Dies bringt der zwanzigjährige, österreichische Regisseur durch Interviews und mitgefilmten Diskussionen innerhalb der Bewohner, Bewohnerinnen bei verschiedensten Ratssitzungen zum Ausdruck. Dies ist meiner Meinung nach auch eine interessante Vorgehensweise Brossmanns gewesen, da heutzutage viel aus der Sicht der Flüchtlinge erzählt wird und nicht wie die Einwohner, Einwohnerinnen Europas mit dieser Situation klar kommen, weil man anschließend sofort als rassistisch oder als ein Feind gegenüber eines Flüchtlings dargestellt wird, wenn ein jener Europäer, eine jene Europäerin sich zu seinem eigenen Leid äußert. Deswegen thematisiert der junge Regisseur ebenfalls die Auswirkungen des früheren oder noch heutzutage aktuell gebliebenen Auswanderungsthemas auf die Menschen, die damit auskommen müssen.

Andere Probleme Lampedusas werden erwähnt, unter anderem das Nicht-Ersetzen eines neuen qualitativ hochwertigen Fischerbootes, worunter die hartarbeitenden Fischer der Insel leiden, Verluste beziehungsweise riskante Ausfahrten in Kauf nehmen müssen und sich somit dazu entscheiden dagegen zu protestieren bis sie eine anständige Entschädigung bekommen. Dieses fabelhafte Zusammenspiel von zwei verschiedenen Sichten ist Jakob Brossmann ausgezeichnet gelungen, da er in den verschiedensten privaten und ehrlichen Momentan hautnah dabei war und unaufdringlich seine Arbeit verrichten konnte. Somit gab er den Zusehenden einen anderen Blickwinkel zu diesem Thema. Weiteres äußerte sich der Filmemacher anschließend nach der Filmvorstellung zu der Entstehung dieses natürlichen Dokumentarfilmgefühls. Er bat die Einwohner, Einwohnerinnen nicht nochmal irgendwelche Akte zu wiederholen oder wieder das Gleiche zu sagen, sondern filmte einfach mit und ließ sich dabei überraschen.


Kritik von Raffaela Brundiers
Der Insel einGesicht geben – Jakob Brossmanns Film Lampedusa im Winter 

Jeder und jede kennt den Namen der kleinen italienischen Insel Lampedusa, kaum jemand die Geschichte und das Leben dieses Ortes. Spätestens seit dem 3. Oktober 2013 ist Lampedusa zum Schlagwort für das Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik geworden und gleichzeitig irgendwie ein Ort des Schreckens.

Der Filmemacher Jakob Brossmann versucht in seinem neuen Dokumentarfilm Lampedusa im Winter diesem, fast schon symbolträchtigen Ort, ein Gesicht zu geben und portraitiert es in seiner kargen, kalten Nacktheit des Winters, fern ab von Touristen, Sonne, Meer und guter Laune – jedoch nicht fern ab von schwerwiegenden lokalen sowie internationalen politischen Problemen. Brossmann legt seinen Schwerpunkt nicht auf das vermeintlich bekannte Lampedusa als Zentrum von Flucht und Migration sondern versucht diesen Aspekt der „Flüchtlingsproblematik“ in das Leben dort irgendwie zu integrieren; es als Teil des alltäglichen Insellebens zu betrachten, was es wohlmöglich irgendwie auch ist. So wirken die Flüchtlinge, die frierend im Wind vor der Kirche kauernd darauf warten, endlich weiterreisen zu können, beinahe schon so, als gehörten sie zum Stadtbild Lampedusas – beiläufig, unauffällig, normal. Oder für Paola, eine Einwohnerin, die sich freiwillig engagiert, scheint der Alltag  auch von der Hilfe für Flüchtlinge bestimmt zu sein.

Auf der anderen Seite wirft Brossmann aber auch einen Blick auf andere Probleme; ein Fischerstreik beherrscht die lokale Politik des Winters und führt zu Lebensmittelknappheit auf der kleinen Insel. Ingesamt skizziert der Regisseur das Bild eines Ortes, der in vielerlei Hinsicht irgendwie alleingelassen wirkt – personifiziert in der Bürgermeisterin, die auf nationaler sowie internationaler politischer Ebene einen bürokratischen Kampf gegen Windmühlen führt und sich gleichermaßen mit streikenden Fischern sowie mit streikenden Flüchtlingen auseinander setzen muss.

Den ganzen Film nehmen Brossmann und sein Team eine sehr zurückhaltende Position ein, fast so, als wären sie gar nicht da. Es gibt keine Interviewelemente, keinen „Voice-Over-Kommentar“, nur die beobachtende Kamera, die meist distanziert die Geschehnisse aufzeichnet. Eine durchaus gängige Form dokumentarisch zu arbeiten, wäre da nicht bei Lampedusa im Winter ein Makel: Vielen Stellen wirken einfach sehr in Szene gerückt. Unabhängig von der Frage nach Realität und Fiktion, denn natürlich enthält auch ein vermeintlicher Dokumentarfilm viel Fiktionalität, schon allein durch die subjektive Perspektive des Filmemachers oder der Filmemacherin, grenzt dieser Film jedoch teilweise an zu starke Inszenierung, obwohl er doch letztendlich, in welcher Form auch immer, einen Anspruch auf Wahrheit erhebt. Wenn also, etwas dramatisch ausgedrückt, in solchen Filmen gestellte Elemente auftauchen, also Szenen, deren Geschehnisse den Anschein erwecken, sie wären so auf Aufforderung passiert, dann ist das schlechtesten Falls unglaubwürdig, gar manipulativ, besten Falls etwas ungeschickt. Letztes trifft sicherlich auf Brossmans Film zu – ausgleichen hätte er es können, indem er die Machart des Films für den Zuschauenden sichtbarer und damit Anwesenheit der Kamera spürbarer gemacht hätte.

Abgesehen davon gelingt Brossmann eine Arbeit, die durchaus interessante und bedrückende Momente enthält, mit der Bürgermeisterin auch eine sehr vielsagende Figur enthält, sich dann aber doch in dieser bewussten Nicht-Fokussierung auf eine Thematik etwas verliert. Der Film erschöpft sich dann doch in der einzigen, recht banalen Erkenntnis, dass die Flüchtlinge in Lampedusa scheinbar zu einem gewöhnlichen Inselalltag gehören – für 93 Minuten Spiellänge ein bisschen zu wenig.


Kritik von Valerie Bachschwöll
Aufprall einer Welt

„How should we keep going on, if we don’t know how it will end?“

Konfrontiert mit einem Blackscreen, einer Stimme, undeutlich, verschwommen, immer wieder abbrechend eine Notlage schildernd, ist der Einstieg in Jakob Brossmanns Lampedusa im Winter sichtlich alles andere als gewöhnlich. Schon ab der ersten Sekunde, wird Spannung induziert, in eine Situation eingeführt, die geradezu aktueller nicht sein könnte. Die Stimme ist ängstlich, verwirrt, wirkt verloren und genau das ist sie auch, gefangen im Meer auf einem Boot, das droht unterzugehen. Eine Frauenstimme antwortet, verweist auf die Koordinaten, alarmiert die Küstenwache von Lampedusa.

Ausgesprochen von einem einheimischen Fischer bezieht die anfänglich genannte Aussage nicht nur die schwierige Lage der Flüchtlinge mit ein. Auch die teils infrastrukturelle Notlage vor Ort stellt sich im Laufe des Films als komplex dar. Der Regisseur inszeniert die örtliche Bürgermeisterin geschickt als Protagonistin, erschafft durch die non-fiktive Erzählung der dürftigen Lebenslage der Fischer vor Ort eine sich durch den gesamten Film webende Storyline, geprägt durch Rückschläge, Nächstenliebe und Zusammenhalt, gipfelnd in einem Protest.

Während der undefinierte Ausgang für die Fischer das Schlimmste bedeutet, da er ungewiss ist und sie aus ihrem gewöhnlichen Alltag zu entreißen scheint, ist es für die Flüchtlinge genau dieser, welcher Hoffnung gibt. Obgleich beide sich in Undefinierbarkeit, Angst und Verzweiflung gleichen mögen, so gibt es für die Fliehenden keine Wahl, „how should we keep going on“ stellt keine legitime Option dar, denn das unbekannte Ende ist eben jenes, welches einzig noch auf Erlösung hoffen lässt.

Lampedusa im Winter spielt mit der Dualität zweier Notlagen, zweier Wirklichkeiten, zweier aufeinander prallender Welten, die doch zu ein und derselben gehören. Zwei völlig unterschiedliche Lebenskrisen werden aufeinander bezogen, nebeneinander dargestellt und vom Gegenüber wie einem Spiegel reflektiert. Dem Rezipienten, der Rezipientin, bleibt es frei überlassen, inwiefern der Film als Aufklärung, Appell an Menschlichkeit und das Recht auf Schutz oder auch schlicht als Dokumentation des Lebens einer griechischen Insel auf ihn wirken mag.


Kritik von Merlin Mayer

Lampedusa. Eine winzige Insel (ungefähr 20km² groß und weniger als 5000 Einwohner) im Mittelmeer zwischen Tunesien und Sizilien ist einer der ganz großen Schauplätze rund um die Flüchtlingsproblematik und daher auch in den Medien sehr präsent. Aus den Nachrichten nehmen wir vor allem jene Bilder wahr, die von der Ankunft der Flüchtlinge auf der Insel berichten, die für sie nach einer hochriskanten und unvorstellbar qualvollen (das ist noch weit untertrieben!!!) Seefahrt, das Tor zu Europa verkörpert, der „besseren Welt“.

Mit solch einer dramatischen Situation  steigen wir auch in den Film ein. Sehen können wir aber nichts. Nur ein Schwarzbild.  Nur eine Stimme ist zuhören. Ein Notruf, irgendwo auf hoher See bittet jemand um Hilfe. Am anderen Ende der Leitung hören wir eine Frauenstimme, sie muss den Flüchtlingen am Boot, wie sich verhalten sollen bis die Küstenwache kommt. Damit sie Küstenwache losschicken kann fragt sie zuerst nach dem Standort des Bootes und erklärt den Bootsflüchtlingen, wie sie die Ortungsfunktion auf ihrem Handy einschalten.

Der Ausgang dieser Geschichte, bleibt aber vorerst offen und wir befinden uns nun wieder auf Festland. Denn der Film des österreichischen Regisseurs Jakob Brossmann, befasst sich weniger mit dem Leiden,  der Flüchtlinge während der Seefahrt, sondern deren prekären Lebenslage auf der Insel und  begleitet alle Bewohner der Insel, welche auf unterschiedliche Weise betroffen sind.  Gedreht wurde außerdem in den Jahren 2013 und 2014, als die Flüchtlingskrise noch nicht so weit vorangeschritten war, wie zum derzeitigen Höhepunkt und nicht im Sommer, sondern ausschließlich während der Wintermonate, in denen der Flüchtlingsstrom abnimmt.  Anders als man es vom Dokumentarfilmgenre gewohnt ist wird man hier nicht mit Informationen überhäuft, die bereits nach wenigen Stunden in Vergessenheit geraten, sondern begegnet den Einwohnern Lampedusas in ihrer Alltagswelt. Die wenigen wirklich wichtigen Fakten werden zu Beginn des Films als Schrift widergegeben: „Seit 2000 ertranken über 23 000 Menschen im Mittelmeer“   Brossmann verzichtete bewusst auf ein Voice-Over, eine fremde Stimme, die uns am laufenden Band erklärt, was wir von den gezeigten Bildern halten sollen.  Stattdessen setzt man die Mündigkeit, der Zuschauer voraus, die Szenen selber zu interpretieren. Gerade deswegen sollte man sich beim Anschauen des Filmes bewusst sein, dass fast alle Szenen, wie auch Brossmann bestätigt mehr oder weniger inszeniert wurden.  Die Interviewer sind ebenso unsichtbar wie die Kamera, deren Abwesenheit wohl mit der Intention, Authentizität herzustellen begründet ist und neben den fehlenden Voice-Over als stärkstes ästhetisches Kriterium fungiert.

Zurück auf der Insel begegnen wir verschiede Personen(-Gruppen) wie sie den Winter auf Lampedusa verbringen. Was wir sehen sind streikende Asylwerber, aufgebrachte Fischer, ein Radio-DJ, eine Nachwuchsfußballmannschaft, die derzeitige Bürgermeisterin von Lampedusa und Paola eine engagierte Helferin. Zwischen diesen Personen wechseln wir ständig hin und her, allerdings nicht immer eindeutig chronologisch. Am häufigsten begegnen wir Paola, mit der während der Dreharbeiten sehr intensiv zusammen gearbeitet wurde. Bereits in ihrer Kindheit auf Lampedusa hat sie mit Flüchtlingen Erfahrungen gemacht, die sie dazu bewegt hat den Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Sie ist auch die einzige Person, die sich am Anfang des Films um die Flüchtlinge vor der Kirche streiken, kümmert und bringt ihnen Tee.  Die prekäre Situation, der Flüchtlinge betrifft aber nicht nur Paola, sondern auch die Fischer für die der überbelastete Schiffverkehr mit hohen Verlusten verbunden ist und nicht zu Letzt die Flüchtlinge selber, die auf der Insel gefangen sind und von ihrer Wahlheimat, der EU im Stich gelassen werden.  Im starken Kontrast dazu, werden der Fußballtrainer, der die jugendlichen Talente zu Teamwork pusht und der Radio-DJ, der sich bemüht trotz der großen Herausforderung, eine gute Stimmung auf der Insel zu verbreiten, geschnitten.

Bei diesem Film geht es nicht um eine eindeutige politische Positionierung oder darum einen Schuldigen zu finden. Viel eher begibt man sich auf eine Reise, auf ein Lampedusa, wie es abseits von den Nachrichten und den Journalisten aussieht. „Lampedusa im Winter“ betont die Langatmigkeit der Debatte und vermittelt, dass sich die Flüchtlingsdramatik auch vor und nach den Berichterstattungen zu den Höhepunkten fortsetzt.


Kritik von Pia Koblenzer

Eine bloß 20 Quadratkilometer große Insel, eine in unser aller Köpfen eingebrannte Assoziation und die Hoffnung diese durch „Lampedusa im Winter“ in irgendeine Richtung zu verändern. Ein gewagtes Filmprojekt des Jungregisseurs Jakob Brossmann, welches uns das Leben auf der Mittelmeerinsel im Winter näher bringen soll. Ein Leben, welches im Winter nicht von Menschenmassen und Unterkunftsproblemen geprägt ist. Ein Leben, das nicht unter dem Einfluss großer Aufstände oder Proteste steht.                                                                                                                               Brossmann versucht mit seiner Dokumentation Probleme aufzuzeigen und sich diesen zu nähern, wo der Rest der Welt bisher nur ein Problem sieht: eine Anlaufstelle für Flüchtlinge.                                                                                                  So gibt er im Laufe seines Filmes Einblicke in die Arbeit der Bürgermeisterin und der Gemeindeversammlungen, er zeigt die Entwicklung eines Fischerstreikes und begleitet ein Fußballteam bei seinem täglichen Training.

Da Lampedusa jedoch eine Insel ist, welche von mehreren Jahrzehnten Flüchtlingszustrom geprägt wurde, kann Brossmann das Thema nicht außen vor lassen. Er führt Charaktere wie Paola oder Naval ein, die sich in ihrer Freizeit auf ganz unterschiedliche Art und Weise der Flüchtlingshilfe widmen. Außerdem begleitet er Menschen, welche die gestrandeten Flüchtlingsboote untersuchen und sich mit den darin gefundenen Gegenständen befassen. Dadurch, dass Brossmann auch recht umfassend darauf eingeht, kommt der Film jedoch niemals richtig vom Flüchtlingsthema weg und auch bei Bildern eines Straßenfestest oder des Fußballtrainings hat man stets das Gefühl, der Film schwebe uneindeutig zwischen einer Dokumentation über die Menschen auf Lampedusa und der Flüchtlingsproblematik. Obwohl der Regisseur eben im Film verschiedene Handlungsstränge aufbaut (wie zum Beispiel die Entwicklung des Streiks) , um zu zeigen, dass man den Begriff „Lampedusa“ und vor Allem die Menschen dort und ihre Leben nicht nur auf die Flüchtlingsproblematik reduzieren darf, passiert es doch schnell, dass man Bilder die man sieht oder Aussagen die man zu hören bekommt, wieder nur dem einen Thema zuzuordnen weiß. Dadurch stellt sich die Frage ob es mit einem solchen Projekt, bei veränderter Umsetzung, überhaupt die Möglichkeit gegeben hätte einen Film zu schaffen, der mit unseren Vorurteilen aufräumt? Ist es überhaupt möglich mit einem Film das Bild einer Insel zu verändern, welches über so viele Jahre hinweg auf der Welt entstanden ist?

Für Brossmann wäre es sicher möglich gewesen, denn gerade durch das anschließende Publikumsgespräch, hatte man das Gefühl, das Brossmann und sein Team wirklich sehr nahe an den Menschen und deren Geschichten dran waren, im Film selbst davon jedoch einiges zurückgehalten haben. So erfährt man viele Dinge, die den Eindruck der Insel nochmal verändert haben und viel intensiver auf die Menschen eingehen, leider nur aus dem Publikumsgespräch, wie zum Beispiel die Geschichte von Paola, die ihren Job als Anwältin aufgegeben hat und nun eine Pension führt.

Trotzdem muss man sagen, dass der Film es schafft ein ehrlicheres und offeneres Bild von Lampedusa zu zeigen, als jenes welches, welches seit Jahren durch die Medien geistert und obwohl er bei mir leider keinen anderen Eindruck von Lampedusa wecken konnte, als den altbekannten und erwarteten, einer Insel und einer Bevölkerung die unter der Flüchtlingsproblematik leidet, ist es natürlich ein brandaktueller Film, den ich empfehlen würde sich anzusehen.

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